Allmählich glaube ich ja, dass der immer komplexer werdende Alltag
viele Menschen überfordert. Nachvollziehen kann ich das übrigens auch –
gibt es doch so einige kleine und große Herausforderungen, die quasi
allerorts auflauern. Eine davon hat früher mal Spaß gemacht und nennt
sich Konsum. Denn seit die Menschen nicht mehr einfach nur Einkaufen
oder Shoppen gehen, sondern zu „kritischen Verbrauchern“ avanciert sind,
gleicht das einstmals simple Konsum-Prozedere (umsehen, zugreifen,
zahlen, fertig) einem Marsch durch vermintes Terrain.
Sowohl die Obstabteilung als auch die Kleiderstange bilden längst
schon ein Stück politische Weltbühne. Und wer ein Hemd kaufen möchte,
kauft nicht einfach nur ein Hemd, sondern entscheidet damit auch
wahlweise über das Schicksal unserer Gesellschaft, der Erde, gar der
Menschheit – also eigentlich über das große Ganze.
Nun bin ich selbst zwar kein kritischer Verbraucher, eher das
Gegenteil. Vielleicht eine Art hedonistisch veranlagter Philokonsument,
sofern es das noch gibt. Trotzdem kann ich mir lebhaft vorstellen, wie
strapaziös so ein Leben sein kann, in dem der Griff ins Regal, der Gang
zur Umkleidekabine und der Klick auf den „Kaufen“-Button politische
Handlungen sind. Was man da nicht alles beachten muss! Der kritische
Verbraucher käme beispielsweise niemals auf die Idee, Bücher bei Amazon
zu kaufen. Denn schließlich hat er mal gehört, der Konzern würde
Leiharbeiter in „Arbeitslagern“ halten und diese zur „Zwangsarbeit“
verdonnern. Seitdem besucht er aus Protest wieder „den kleinen
Buchhändler“ und arbeitet so an seinem Image als heiliger Schutzpatron
der geschundenen Arbeitskräfte.
Noch komplizierter wird es allerdings in Sachen Mode. „Made in
Bangladesh“ etwa geht gar nicht. „KIK“ und „C&A“ daher also auch
nicht, was allerdings ohnehin kein großer Verlust für das äußere
Erscheinungsbild des kritischen Verbrauchers ist. Neuerdings sollte man
sich aber ebenso vor „Abercrombie & Fitch“ hüten. Abercrombie möchte
nämlich nur attraktive und vor allem schlanke Verbraucher
ausstaffieren, weshalb das „Stacy Hoodie“, das „Harley Shine Tee“ und
viele mehr nur bis Größe 40 im Angebot sind. Eine himmelschreiende
Diskriminierung, wie ich nun höre. Ich persönlich verstehe zwar nicht,
warum nun ein solcher Bohei um ein bisschen Unternehmensfreiheit gemacht
wird. Zugegebenermaßen weiß ich aber auch nicht, was Menschen daran
finden, sich wie ein Maulwurf durch nahezu stockdunkle und
überdurchschnittlich beschallte Geschäfte zu tasten, wie es bei
Abercrombie der Fall ist. Gegen diese Kundenferne protestiert übrigens
niemand, doch das nur am Rande.
Denn abgesehen davon fertigt auch Abercrombie, genauso wie nahezu
jede größere Modekette auf diesem Planeten, in Asien. Teils unter
abscheulichen Bedingungen, natürlich. Der kritische Verbraucher weiß
dafür aber wenigstens ganz genau, wer diesbezüglich an den Pranger
gehört: der Kapitalismus. Mal wieder. Ausbeutung sei der „Preis des Kapitalismus“,
erfuhr ich etwa neulich bei 3sat. Wie wäre es, zur Abwechslung mal
einen anderen Schuldigen aus dem Hut zu zaubern? Sicher, ich kann
verstehen, dass es einfacher ist, immer schön „das System“
verantwortlich zu machen. Und gewissermaßen stimmt es auch, dass
Wettbewerb zu Billigpreisen führt.
Ich glaube allerdings trotzdem, dass Kapitalismus weniger das Problem
und vielmehr die Lösung ist. Der Preis mag ein Faktor im Wettbewerb
sein. Doch je mehr kritische Verbraucher es gibt – zumal solche, die auf
dem Gebiet der erweiterten Fairtrade-Siegel-Kunde topfit sind –, desto
schneller werden die Produktionsbedingungen zum entscheidenden Aspekt.
Es ist das gute alte Angebot-und-Nachfrage-Prinzip, das dahingehend
erfolgversprechend sein dürfte. Wer nach dem Motto „kein Blut für
9,90-€-Tops“ lebt, kann sich ja auch woanders einkleiden. Und wer 9,90-€-Tops anbietet, die sich zum Ladenhüter entwickeln,
wird dementsprechend handeln. Wie gut dieses Prinzip andernorts
funktioniert, konnte man übrigens zuletzt bei Amazon beobachten, wo der
ein oder andere Missstand in Folge der dazugehörigen Berichterstattung umgehend und im vorauseilenden Gehorsam behoben wurde.
In nicht-kapitalistischen Systemen dagegen wäre so etwas unmöglich.
Denn wo Anbieter nicht frei konkurrieren, sondern reglementiert und
limitiert werden, hat auch der Konsument keine Wahl. Und müsste im
Zweifel selbst stricken. Mag sein, dass kritische Verbraucher das im
Notfall auch täten. Aber eigentlich sollten sie sich besser darüber
freuen, dort zu leben, wo sie die Wahl – und damit auch ein Stück weit
Macht – haben.
Zuerst im Rahmen der Kolumne "Neues aus Meschuggestan" auf "The European" erschienen.
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