Erst neulich habe ich mal wieder zur Kenntnis genommen, dass die
soziale Kälte sich hierzulande zur sozialen Eiszeit auswächst. Auch um
die Kluft zwischen Arm und Reich soll es nicht gut bestellt sein. Sie
stünde kurz vor der Unüberwindbarkeit, so hört man, und sollte es nicht
schleunigst mit der sozialen Gerechtigkeit losgehen, drohen Sodom- und
Gomorra –ähnliche Zustände. Mindestens.
Manch einem mag deshalb schon ganz schlecht sein. Mir nicht. Denn
vorerst habe ich schon genug damit zu tun, mich aufgrund dessen neu
einzusortieren. Der nach sozialer Gerechtigkeit rufende Chor, die Ode an
die Umfairteilung, die Arie der Wir-Seligkeit, kurz: der neue deutsche
Soundtrack – seine Klänge sind es, die ich kaum zu dechiffrieren vermag.
Dachte ich doch bislang, Leistung wäre etwas Gutes, und auch die
Politik müsse an individueller Leistungsbereitschaft, zugleich dem Motor
einer Volkswirtschaft, interessiert sein.
Ein fataler Irrtum, wie sich nun herausstellt. Mittlerweile bin ich
davon überzeugt, dass Leistung in diesen Breitengraden nicht nur
verpönt, sondern sogar bedrohlich ist. Denn wer dem Ruf nach sozialer
Gerechtigkeit folgt, stellt fest, dass sowohl der Leistungsträger an
sich, als auch das System, das ihn belohnt, und zudem alles, was ihn
umgibt, der schönen neuen gerechten Welt im Wege stehen.
Dabei sind es gar nicht all die hübschen Wahlprogramme im
„Kapital“-Look, die zu dieser Erkenntnis führten. Auch an den fest
versprochenen Steuererhöhungen, die so mancher Wähler ob der Aussicht,
das gemeine Bonzentum in München-Bogenhausen oder Hamburg-Blankenese
leiden zu sehen, kaum noch erwarten kann, liegt es nicht. Nein – meine
Irritation wurzelt eine Ebene tiefer.
Zum Beispiel im Rahmen der öffentlich-rechtlichen Gesprächstherapie,
die ich mir in hoher Dosis verschrieben habe, um stets über den
aktuellen Stand der nationalen Ungerechtigkeit im Bilde zu sein. Denn
dort gilt: Eine Woche ohne „soziale Gerechtigkeit“ ist eine verlorene
Woche. Hier eine Portion Manager-Bashing, da ein Häppchen Mindestlohn,
für jeden ist etwas dabei.
Jedenfalls war vor einiger Zeit Sahra Wagenknecht bei Markus Lanz zu
Gast. Dort promotete sie auch die von ihrer Partei erdachte
Millionärssteuer (= Versteuerung von Einkommen ab einer Million/Jahr mit
75%), und zwar auf ganz erstaunliche Weise. „Ich meine, was sollen die Leute mit dem vielen Geld machen?“, sprach sie, und legte gleich nach: „Die machen sich ständig Sorgen, wo sie’s anlegen … Also ich fände es besser, dann Schulen zu bezahlen, Universitäten auszustatten, Krankenhäuser …“
Nun dürfte eigentlich gerade Sahra Wagenknecht wissen, dass sich viel
Geld nicht nur in Aktien und Immobilien, sondern auch hervorragend und
obendrein sorglos in Hummer umwandeln lässt. Doch das war nicht der
Punkt. Nachdem ich sichergestellt hatte, nicht versehentlich in der
„heute Show“ gelandet zu sein, fragte ich mich folgendes: Wie kann eine
Frau, die in ihrem Leben ganze drei Monate als Sekretärin gearbeitet
hat, eine derartige Chuzpe an den Tag legen? Die Chuzpe nämlich, die
definitiv nötig ist, um aus dieser Position heraus nicht nur hart
arbeitenden Bevölkerungsteilen das Recht auf ihren Lohn abzusprechen,
sondern genau das auch noch als Wohltat für die Betroffenen zu
verkaufen. Ganz so, als würde ein Brandstifter ein Auto abfackeln und
dem Besitzer hinterher rechtfertigend erläutern, dieser hätte mit seinem
Gefährt ohnehin viel zu oft im Stau stehen müssen.
Aber gut, dachte ich, eine Wagenknecht macht noch keinen Sommer.
Schließlich wird in Deutschland niemand diskriminiert. Weder Frauen noch
Zuwanderer oder Transsexuelle, und eigentlich müsste das doch
eigentlich auch für Millionäre und Unternehmer gelten.
Dann aber schwappte die Causa Hoeneß über Bord. Im Zuge dessen legte
ich mir binnen einer Woche nicht nur umfassende Kenntnisse in puncto
Gier und Größenwahn innerhalb des deutschen Millionärtums zu.
Gleichzeitig nahm ich auch Hoeneß‘ Downgrade zum „Asozialen“ zur
Kenntnis - eine Auszeichnung, die mutmaßlichen Steuerhinterziehern ohne
redlichen Unternehmerhintergrund, beispielsweise Bushido, noch nicht zu
Teil wurde.
Natürlich war mir klar, dass Steuerhinterziehung „kein
Kavaliersdelikt“ ist. Gleichzeitig wusste ich aber auch um die
hierzulande übliche Empathie für Terroristen, Fundamentalisten und
artverwandte Gestalten. Nur von Uli Hoeneß wollte plötzlich niemand
wissen, was ihn denn so getrieben haben könnte (außer der großzügig
attestierten Gier natürlich), und ob er zufällig über eine schwere
Kindheit verfügt.
Stattdessen erfolgten eine „Aktuelle Stunde“ im Bundestag und das
Tribunal in der Talkarena. Waren es wirklich die hinterzogenen
Kapitalertragssteuern, die ihm die sich empörende Klasse derart übel
nahm? Oder doch eher sein Erfolg an sich? Und bot sein Vergehen dann
nicht auch den perfekten Vorwand, ihm sein eigentliches Verbrechen –
eben den Erfolg – in Form von überlegen anmutender Häme heimzuzahlen? So
ganz abwegig wäre das nicht.
An Weisheiten, wonach Geld den Charakter verderbe, fehlte es zu
diesem Zeitpunkt jedenfalls nicht. Genauso wenig wie an engagierten
Kaffeesatzlesern, die in jedem erfolgreichen Mitbürger auch stets den
potentiellen Straftäter schlummern sehen. Dass Gutverdiener aber
generell verdächtig sind, war mir ohnehin schon bewusst. Vor allem mit
mittelständischen Unternehmern soll nicht zu spaßen sein.
Gelegentlich sieht man sie in Talkshows zu sozial gerechten Themen.
Dort obliegt ihnen grundsätzlich der Part des Bösen, dem wiederum das
Gute, verkörpert durch eine ver.di-Funktionärin und eine Friseuse ohne
Mindestlohn, kontrastiv gegenübersteht. Und wenn der gemeine Unternehmer
sich dann noch gegen Steuererhöhungen ausspricht, erlangt er auf der
gesellschaftlichen „Asozialen“-Skala fast den gleichen Rang wie ein
Trader auf dem Börsenparkett.
Der wiederum soll gemeinhin nicht nur alle Finanzkrisen seit
Menschengedenken verschuldet haben. Neuerdings unterscheidet er sich auch nicht mehr von handelsüblichen Psychopathen. Das zumindest behauptet ein Schweizer Psychiater, der zuvor Straftäter mit Börsenhändlern hinsichtlich deren Psyche verglichen hatte und darüber kürzlich mit Maybritt Illner parlierte.
Seitdem hängt die Zunft der Trader in Sachen Sympathie nur knapp den
Berufsstand der Manager ab, von dem jeder weiß, dass er hinsichtlich der
Gehälter dringend mit „Anti-Gier-Gesetzen“ gebändigt werden muss. Denn
es ist keineswegs der Gedanke an das eigene Geld, das vielen Deutschen
den Schlaf raubt, sondern vielmehr die Gewissheit, dass andere mehr
davon haben.
Andererseits kündigt sich allmählich Entwarnung an. Workaholics und
gierige Vielverdiener geraten zu Auslaufmodellen, die frenetisch
bejubelten „Millennials“ übernehmen das Zepter. Milliennials, das sind
junge Menschen, die weniger Zeit mit ihrer Arbeit verbringen wollen,
„sabbaticals“ fordern, bei der Jobsuche darauf achten, dass der
potentielle Arbeitgeber auch Yoga-Kurse anbietet und Gott sei Dank nicht
so karriereversessen wie ihre Eltern sind. Endlich! Denn schließlich
leidet die Gesellschaft schon lang genug am kollektiven Burnout-Syndrom,
das bereits bei Bachelor-Studenten auftritt und sicher auch bald in
Kindergärten und Krabbelgruppen zu verzeichnen sein wird.
Betroffene erkennt man generell daran, dass sie vor lauter Stress zu
gar nichts mehr in der Lage sind, außer über ihre Leiden Bücher zu
schreiben. Das Schöne am Burnout ist jedoch, dass er sich so herrlich
mit einem Touch „Systemkritik“ kombinieren lässt. Denn wenn schon jeder
Zweite darunter leidet, dann kann es ja nur noch so sein, dass uns die
kapitalistischen Verhältnisse zu viel abverlangen.
Solange diese allerdings nicht überwunden sind, geht es munter
weiter. Umverteilungsphantasien, Manager-Schelte, Burnout und
Gier-Diagnosen sind hier lediglich Ingredienzien ein und derselben
Sauce, die jede Diskussion über Leistung und Wohlstand zuverlässig
ertränkt. Dabei ist es grundsätzlich nicht verkehrt, wenn das Gros der
Deutschen denkt, es gehe hierzulande ungerecht zu. Tatsächlich ist es
nicht unbedingt fair, Menschen ein Kainsmal zu verpassen, die in ihre
Bildung investiert haben, Verantwortung für ein Unternehmen mitsamt
Belegschaft übernehmen und länger als vierzig Stunden pro Woche
arbeiten. Auch die Sorge um die Schere ist durchaus berechtigt – wenn
auch nicht um die zwischen Arm und Reich, sondern zwischen denjenigen,
die hauptberuflich soziale Gerechtigkeit fordern und solchen, die sie
erwirtschaften sollen.
Das leistungsfeindliche Klima bildet dabei automatisch die Kehrseite
der sozialen Gerechtigkeit. Das eine ist ohne das andere nicht zu haben.
Wenn der „kleine Mann“ unter vermeintlicher Ungerechtigkeit leidet,
kann schließlich nicht er selbst, erst recht nicht die Politik, daher
also nur der Vermögende daran schuld sein. Erfolg und
Leistungsbereitschaft provozieren da nur unnötigerweise. Am besten, man
verbietet beides. Der sozialen Wärme zu Liebe, versteht sich.
Zuerst auf der "Achse des Guten" erschienen.
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